Leni Eisenbauer
Name: Leni Eisenbauer
Garouname: Silent Wishes
Geschlecht: weiblich
Brut: Homid
Vorzeichen: Galliard
Stamm: Knochenbeißer
Rang: Cliath
Rudel:
Rudelrang: Anwärter
Septenamt: -
Alter: 19 (29.03.1986)
Nationalität: Deutsch
Erscheinung: Eine zierliche, mit 169 cm nicht
wirklich große, eher schmächtige Gestalt, die durch wache grüne Augen, denen das
Wenigste zu entgehen scheint, ihr Gegenüber zu verwirren weiß. Ihre Haare sind
dunkelbraun und ziemlich widerspenstig, schulterlang. Silent Wishes trägt einen
schwarzen Mantel, dessen linker Ärmel wohl vor einiger Zeit abgeschnitten und
wieder angenäht worden ist. Dazu trägt sie helle Jeans und Turnschuhe, unter dem
Mantel für gewöhnlich Pullover in dunkelblauer oder grüner Farbe, oder ein
T-Shirt mit "Überjacke". Sie meidet grelle Farben.
Silent Wishes trägt einen bereits ziemlich gefetzten Rucksack mit sich herum, in
dem sich neben einer kleinen Menge Geld ihr Tagebuch befinden, ebenso das
Kinderbuch, dass sie geschrieben hat, ein Notizbuch und ein Stift, eine
Einwegkamera und eine in Tuch gewickelte Schelle, die aus einem langen Blatt und
etwas Wachs besteht.
In Crinos/ Hispo/ Lupus: In Wolfsformen eher drahtig, als muskulös. Das
Fell ist fleckig wie es bei Knochenbeißern üblich ist und voll von hellbraunen
bis beinahe schwarzen Partien.
Charakter:
Silent Wishes' Charakter wird vor allem von 2 Dingen dominierend bestimmt: der
Hang zu großen Widersprüchen und zur Dramatisierung, maßlosen Übertreibung.
Gefühle und Eindrücke erlebt sie sehr intensiv, egal, welcher Natur sie sind.
Schicksalsschläge reißen sie zu Boden, während freudige Ereignisse die
Knochenbeißerin in den Himmel katapultieren und zum Dauerstrahlen bringen.
Stimmungsschwankungen jeglicher Art sind also bei ihr an der Tagesordnung, des
weiteren neigt Silent Wishes dazu, übersensibel zu reagieren und sich vor allem
von Worten viel zu sehr berühren zu lassen. Fühlt sie sich durch irgend etwas
herab gesetzt oder angegriffen klappt sie ihre Blätter gleich einer Mimose in
Windeseile zusammen, was jedoch nicht heißen soll, dass sie generell nicht mit
Kritik umgehen könnte, doch jene muss passend formuliert sein, damit sie die
gewünschte Wirkung erzielt. Harte Worte reißen Silent Wishes zu Boden und rauben
ihr jede Fassung, Streit und schlechte Stimmung ebenfalls.
Des weiteren interessiert sie sich sehr für Widersprüche, widersprüchliches
Verhalten ihrer Mitgarou, aber auch für Texte, Worte und Schrift. Die
Knochenbeißerin ist der Meinung, dass es zu allem einen Gegenpol geben muss und
dass beispielsweise rauhen Verhaltenweisen auch irgendwo Sanftheit zu Grunde
liegen muss, ebenso widersprüchlich, wie auch ihr eigenes Verhalten oftmals ist.
Silent Wishes langweilt sich schnell und wechselt des öfteren ihre Ansichten zu
eher "banalen" Dingen, um Eintönigkeit entgegen zu wirken.
Darüber hinaus verfügt sie jedoch über ihre ganz eigenen Weltanschauungen, die
sie nach und nach in Berlin entwickelte. Silent Wishes hat einen besonderen
Draht zu Kindern und versucht jenen einen Zugang zu Gaia und zur Natur zu
verschaffen. Ihrer Meinung nach ist die offensive Bekämpfung des Wyrms lediglich
der Tropfen auf den heißen Stein, da der Feind in der Überzahl und die
Garounation am auseinander brechen ist. Aus diesem Grund hat sie sich einem
Lager der Kinder Gaias, den Engeln Edens, angeschlossen, da sie ebenso wie jene
der Ansicht ist, dass man die Menschen verändern muss, um Gaia eine Chance zu
geben und dem Wyrm seine Einflussgebiete zu rauben.
Silent Wishes ist eine sehr weichherzige Persönlichkeit, die anderen gerne hilft
und der es schwer fällt, jemandem Schmerzen zu bereiten; deswegen meidet sie
offene Kämpfe und versucht auch andere davon abzuhalten, sich sinnlos in jene zu
stürzen (in ihren Augen sind alle Arten von kämpferischen Auseinandersetzungen
sinnlos).
Gestalt | Größe | Gewicht |
Homid | 1,69m | 59kg |
Glabro | 1,84m | 163kg |
Crinos | 2,67m | 326kg |
Hispo | 1,38m | 326kg |
Lupus | 0,85m | 45kg |
Geschichte:
Kindheit
Ich war das, was man verloren nennen könnte. In meinen frühsten Jahren
fand ich wirklich nirgends Anschluss.
Berlin, die Stadt in der ich aufwuchs war riesig, meine Mutter eine
Alkoholikerin und öfters betrunken als nüchtern, die Kindertagesstätte, in
die sie mich immer schickte, war mir ein Graus, die anderen Kinder waren mir
unheimlich. Aber eigentlich war es genau umgekehrt, ich war es, die den
Kindern Angst einjagte, wieso konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht
ahnen. Jedenfalls schien da etwas zu sein, was die anderen Menschen von mir
fern hielt. Ich war eigentlich immer alleine und sehnte mich auch nicht
wirklich nach Gesellschaft, was sich erst in meiner Jugend ändern sollte.
Ich träumte sehr viel und glaubte Dinge zu sehen, die eigentlich nicht da
waren, in meinen ersten Jahren lebte ich viel mehr in meiner eigenen Welt
als irgendwo sonst.
Zu meinem Schulbeginn schenkte mir mein Patenonkel Viktor, der übrigens der
einzige Mensch war, der mich wirklich aufrichtig mochte, ein Tagebuch, ich
weiß nicht ob er wusste, wie dringend ich es brauchen werden würde.
Es sollte mir schlimm ergehen. Von Anfang an war ich eine Außenseiterin. Die
anderen Kinder ärgerten mich, weil meine Mutter nicht genügend Geld
verdiente, genau genommen lebten wir auf Staatskosten, um mir
Markenklamotten kaufen zu können, sie ärgerten mich, weil ich irgendwie
anders war, weil ich manchmal abwesend wirkte, aus dem Fenster starrte und
vor mich hin träumte und weil ich eigentlich auch gar kein richtiges Mädchen
war. Ich interessierte mich nicht für Puppen oder Kleider, das war der
wesentliche Unterschied zwischen mir und den anderen, der eine Kluft
zwischen uns riss, die mir meinen Weg erschweren, zur Qual werden lassen
sollte.
Als ich 8 war begann ich mir meinen Frust regelmäßig von der Seele zu
schreiben. Ich sehnte mich nach der Gesellschaft anderer, ich vermisste so
vieles in meinem jungen Leben und es gab nur einen Raum für diese Gedanken:
Ein Stückchen Papier. Des Nachts saß ich auf dem Fensterbrett und
beobachtete den Mond, sah wie er zu- und wieder ab nahm und ich stellte mir
vor, dass ich all meine stillen Wünsche eines Tages vor einen Menschen
brächte, der sie verstehen würde. Mein Tagebuch taufte ich insgeheim "Silent
Wishes", ich wollte diesen Namen in einer fremden Sprache ausdrücken und
schlug die Worte auf Englisch nach, ich dachte damals, dass so niemand auf
die Idee kommen könnte, dass es irgendetwas spannendes gibt, was eine 8
jährige in ihr Tagebuch schrieb.
Jugend
Mit der Zeit begann ich eine Art Schutzmantel um mich herum aufzubauen.
Ich ließ nichts mehr an mich heran und auch mein Onkel schien mich bei
seinen viel zu seltenen Besuchen nicht mehr wieder zuerkennen.
Ich wurde auf eine gewisse Art und Weise sehr schlagfertig, wann immer ein
verletzender Spruch über mein Äußeres oder meine Art kam konterte ich von
nun an, ich wehrte mich und entwickelte eine recht eigentümliche Art Humor,
über die niemand außer mir wirkliche lachen konnte.
Als ich auf die Realschule kam lernten meine Mitschüler eine ganz andere
kennen als meine Grundschulkameraden sie kannten. Auch die Realschüler
fanden mich merkwürdig, aber sie trauten sich nicht an mich heran, da ich
offensichtlich zu meiner Persönlichkeit stand. Auch die Mädchen ließen mich
in Ruhe, denn meine Haltung gegenüber Jungs, Klamotten und Schminke hatte
sich nicht geändert. Ich war somit keine Konkurrentin für sie, obwohl ich es
wahrscheinlich hätte sein können. Für die Jungs hingegen war ich „die
Komische“ oder „die Öko-Tussi“, mein ausgeranzter Kleidungsstil war auf der
ansonsten sehr noblen Schule eine Seltenheit.
Als ich 16 war fand ich zu einer Gruppe Punks, die ähnlich drauf waren wie
ich. Meine Andersartigkeit störte sie nicht, genau genommen störte sie rein
gar nichts. Die meisten von ihnen waren dauer-stowned und so abgestumpft,
dass sie nichts mehr wahr nahmen oder besser gesagt wahr nehmen wollten. Sie
waren fertig mit der Welt, in ihrem jungen Leben hatten sie die Hoffnung auf
eine Besserung der Situation schon längst aufgeben.
Wir hingen in den Straßen von Kreuzberg, schliefen in einer Abbruchwohnung
und ich ging immer seltener nach Hause oder zur Schule. Ich hatte nicht den
Eindruck, dass man mir dort noch etwas beibringen konnte, war ganz im
Gegenteil fasziniert von der Weltanschauung meiner neuen Freunde und konnte
das Gequatsche über Demokratie und Weltfrieden nicht ertragen. In meinen
Augen gab es keinen Frieden. Das, was in unseren Venen pulsierte und unsere
letzten Gedanken vernebelte war die Gewissheit des allgegenwärtigen Krieges,
der immer dort seine Opfer fand, wo Menschen unterdrückt und von großen
Firmenbossen bevormundet werden. Ich glaube an meinem letzten Tag in der
Schule erzählte ich genau das der ganzen Klasse. Ich bin mir jedoch nicht
sicher, aufgrund der vielen Joints, die wir uns in diesen Tagen rein gezogen
hatten habe ich nicht mehr viele Erinnerung an diese Zeit.
Wir beklauten die Menschen auf dem Kudamm um uns Dope beschaffen zu können,
wir aßen wenig und waren oft am Rande des Wahnsinns. Die Schulleitung rief
bei meiner Mutter an, die sich nicht darum scherte, wo ich war und ich
wusste, dass die Bullen oder das Jugendamt auf meinen Fersen waren. Sie
jagten mich durch Berlin und ich musste mich verstecken. Meine Freunde
halfen mir dabei und ich glaube in diesen Tagen spürte ich das erste und
auch das letzte Mal eine tiefe Verbundenheit zu den Menschen.
Eines Tages wollten wir in einen Gebäudekomplex einbrechen um dort etwas
Geld zu klauen, doch einer unserer Kumpels verlor die Nerven und löste den
Alarm aus.
Binnen weniger Minuten war das Gebäude umstellt und wir waren geliefert.
Und dann passierte etwas unglaubliches. Ich weiß nicht mehr so genau, wie
das alles von statten ging, ich stand jedenfalls an einem Polizeiauto und
hatte die Hände auf das Autodach gelegt, während einer der Bullen mich
abtastete. Und dann spürte er etwas quadratisches in meiner Manteltasche. Er
dachte wahrscheinlich, dass ich irgendein wichtiges Dokument hatte mitgehen
lassen, doch das, was er da befühlte war mein Tagebuch. Silent Wishes. Und
als er es mir wegnehmen wollte spürte ich eine unglaubliche Wut mein
gesamtes Gedankenfeld überrollen.
Jegliche Kontrolle über meinen Körper war mit einem Mal ausgeschaltet und
ich spürte, dass sich irgendetwas veränderte, dass da irgendetwas hoch kam.
Ich spürte, dass etwas an die Oberfläche trat, was die ganze Zeit in mir
geschlummert und auf diesen Moment gewartet hatte. Es war eine unglaubliche
Erleichterung und ein Gefühl tiefer Glückseeligkeit.
...
Als ich wieder zu mir kam stand ich in einem Meer von Blut. Die Gliedmaßen
einzelner, nicht mehr zu identifizierender Menschen lagen auf dem glänzenden
Asphalt und die wenigen Leichen, die noch halbwegs vollständig waren,
wirkten unglaublich entstellt. Ich fragte mich, was geschehen war, doch dann
trat all dies in den Hintergrund.
Ich sah etwas am Boden liegen. Es glitzerte nass im fahlen Licht der
Straßenlampen und als ich mich niederkniete, wusste ich, dass ich nicht nur
die Polizisten und meine Freunde zerfetzt hatte, sondern auch meine
stofflich gewordenen Gedanken und Gefühle. Mein Tagebuch war völlig
zerrissen. Die einzelnen Seiten waren nur noch Konfetti, die Tinte hatte
sich gelöst und mit Blut verwischt. Das größte Stück, was ich von all dem
fand war ein Teil des Buchdeckels mit dem Titel: „Silent Wishes“.
Ich wimmerte. Zuerst leise, dann entrann ein schauerliches Wutgeheul meinem
Mund, wie man kein zweites in dieser Gegend gehört hatte. Ich bemerkte, wie
ich erneut die Kontrolle zu verlieren drohte, doch dann spürte ich eine
warme Hand auf meiner Schulter. Und als ich mich umdrehte sah ich den ersten
Crinos meines Lebens.
Garou
Viktor nahm mich mit zu den Knochenbeißern, seinem und auch meinem
zukünftigen Stamm. Ich bestand den ersten Ritus und kämpfte von da an
zusammen mit ihm gegen die Übermacht des Wyrm. Als er starb, war ich an
seiner Seite, doch von da an hielt mich nichts mehr in Berlin. Ich wanderte
durch ganz Deutschland und nahm aus meinem früheren Leben nichts mit außer
meinem Namen: Silent Wishes.
Ich streifte eine Weile durch die Lande und aus irgendeinem Grund war es
befreiend, die hohen Betonmauern hinter mir gelassen zu haben. Ich entdeckte
die Natur völlig neu und erlebte sie als etwas unglaubliches, etwas
wundervolles. Obwohl ich ständig hungerte und mich mehr schlecht als recht
durchschlug war es auf eine Weise essenziell für mich, einen Sonnenaufgang
zu betrachten. Ich genoss die Abgeschiedenheit und entdeckte, wofür wir
tatsächlich kämpften.
Irgendwann erreichte ich den Frankenwald und kam in die Nähe eines Caerns,
eine alte Fenrirstätte mit dem Namen "Morgenfrost". Zum ersten Mal traf ich
auf mir völlig fremde Garou und stieß bald an die Grenzen meiner Kenntnisse
und Fähigkeiten. Da ich nicht so recht wusste, wie man sich in Gegenwart
anderer Stämme zu verhalten hat, geriet ich mit dem Hüter Grimfrost
aneinander, der mir in der Prüfung, die ich ablegen musste um die Erlaubnis
zu erhalten, den Caern betreten zu dürfen, das Messer als Hilfsmittel zur
Erlegung eines Rehs aberkannte. Allein die Reden Valerians verhinderten
Schlimmeres.
In der Nacht schlich ich mit einem weiteren Anwärter durch den Wald, ohne
auch nur einen Funken Vertrauen in meine Fähigkeiten zu setzen. Ich wartete,
und als das Reh an mir vorbei stürmte packte ich es am Hals und konnte es zu
Boden reißen, während der andere ihm die Kehle durchschnitt. Völlig erstaunt
darüber, diese Prüfung doch überlebt zu haben, folgte ich ihm schließlich in
die Umbra. Dort führte er einen Ritus durch, während mich ein Fuchs auf
irgendeine Weise übers Hau haute. Feuerfunke lachte mich aus, als ich ihm
die Geschichte anschließend erzählte, doch ich weiß bis heute nicht, was
genau mein Irrtum war.
Ich bleib nicht mehr lange bei den Garou im Frankenwald. Grimfrost hatte
etwas gesagt, dass mich tief bewegt hatte und so brach ich wieder auf,
vielleicht um Stärke zu finden, sicherlich aber um meine Vergangenheit zu
bewältigen.
In meiner Wolfsgestalt war der Weg ein kurzer. Meine flinken Beine trugen
mich und je näher ich Berlin kam, desto schneller schlug mein Herz, schlugen
sich meine Pfoten in den erdigen Walduntergrund.
Nach Tagen erreichte ich einen Hügel und konnte über die Stadt blicken. Ich
war zu Hause. Irgendetwas pulsierte in mir. Etwas drohte zu zerspringen und
ein gewisser Teil meiner selbst warnte mich davor, diese Stadt zu betreten,
ein anderer jedoch, ein bedeutungsvollerer, drängte nach Antworten auf meine
Fragen.
Der Mond stand in dieser Nacht hoch am Himmel und leuchtete mir den Weg in
die leeren Straßen, mein Schatten eilte mir voraus und ich konnte jeden
Tritt widerhallen hören, ich spürte, wie der Asphalt atmete und als ich inne
hielt, die Augen schloss, war es, als wäre ich ganz gefangen von dieser
Atmosphäre, als hätte es nie etwas anderes gegeben. Die Gedanken an den
Caern des Morgenfrostes waren wie weg gewischt. Mein Fell hatte das Gefühl
des sanften Windes, der es zerzauste, vergessen und als ich bemerkte, wie
sich meine Pfoten veränderten, zu Füßen wurden, wie meine Hände wieder zum
Vorschein kamen und mein Haar auf meine schmalen Schultern fiel, wurde mir
ebenfalls klar, dass ich mich in dieser Nacht, in diesem Augenblick zurück
verwandelt hatte. Ich war nicht mehr die Garou SilentWishes. Ich war ein
Mensch.
Relativ schnell fand ich mich wieder zurecht, es war so, als wäre ich
niemals wirklich weg gewesen. Die Nacht schien zu leben, zu atmen und ich
befand mich mitten in ihr. Ich hatte kein Geld, sah furchtbar herunter
gekommen aus und stank mit Sicherheit, doch ich kannte einen Ort, an dem das
egal war, ein Haus, in dem alles egal ist und immer sein wird. Ich erkannte
die Zimmer im Erdgeschoss sofort wieder und als ich die baufällige
Metalltreppe hinauf stieg, erwartete ich nichts anderes, als dass meine
alten Freunde hinter einer der Türen hervor treten und mich hinein bitten
würden, doch als ich auch das letzte Zimmer durchsucht hatte wurde mir klar,
dass ich es gewesen war, die ihr Leben beendet hatte.
Ich schrie. Im Spiegel, der über dem verschmutzen Waschbecken, in welchem
sich eine dunkelgrüne, übel riechende Masse befand, hing, sah ich mein
Abbild, doch es war überzogen von fleischigen Streifen. Und dann wechselte
die Szene. Ein Meer von Blut. Fahl glitzerte der nasse Asphalt im Licht der
Straßenlaterne. Der Buchdeckel mit der Aufschrift "SilentWishes". Und meine
Klauen, groß und voller Fetzen. Ich wütete. War es das, was damals geschah?
Ich rannte aus dem Bad und blieb irgendwo liegen.
Ich spürte, wie mir jemand gegen mein Bein trat. "Aufwachen!", brüllte er,
ein bärtiger Mann mit langen Haaren. Dann hielt er mir eine Flasche hin. Ich
trank mit tiefen Zügen, würgte alles sofort wieder heraus und bekam dafür
eine Ohrfeige.
Er kniete sich hin. "Trink langsamer..." Seine Stimme klang etwas
freundlicher. Mir wurde warm ums Herz.
Ich sah Lichter flimmern. Bunte Kegel tanzten auf und ab, ich bestaunte sie.
Sie wirkten groß und weit und wunderschön. Ich wollte so gerne mit ihnen
Fliegen. Ich erhob mich und ging ein paar Schritte, strauchelte, wurde
aufgefangen und flog los. 2 Meter. Vielleicht auch nur 1,5. Ich schlug mir
die Nase auf. Die anderen lachten und hielten mir wieder eine Flasche hin.
Ich lachte ebenfalls. Lachte mit meinen neuen Freunden. Wir waren draußen
auf der Straße und tanzten. Irgendwann lagen wir auf einer Wiese. Der Himmel
schien mir auf den Kopf zu fallen. Ich schmeckte die Hitze und hörte die
Geräusche der Stille. Die anderen sagten etwas, doch ich verstand sie nicht.
Irgendwer hielt mir Pillen hin. Und eine Flasche.
Lichter... beißend hell... ich wurde blind... etwas raste auf mich zu... ein
Drache... ich bekam panische Angst... lachte los... ich lag am Boden und
lachte... die Lichter kamen wieder... ein Quietschen... der Mond fiel mir
auf den Kopf... die Lichter erwürgten mich...
Ich übergab mich... in eine Wanne hinein... in einen See... ich hatte Lust
zu schwimmen... wollte hinein steigen... etwas hielt mich zurück... etwas
lag auf meinem Kopf... dann wurde es dunkel... die Lichter hatten mich
besiegt...
Als ich aufwachte, war es bereits später Nachmittag. Mein Schädel hämmerte
und drohte zu zerspringen, ich musste die Augen zusammen kneifen, denn ich
konnte das goldene Licht der Abendsonne nicht ertragen.
Vorsichtig blickte ich mich um, fand mich in einem weißen Zimmer wieder. Ich
lag in einem Bett, alles war steril und sauber. Auf dem Nachtschränkchen
neben mir stand eine Tasse mit Tee, Pfefferminztee, das erkannte ich am
Geruch, die großen Fenster waren mit weißen Vorhängen verhüllt. Gegenüber
des Bettes befand sich eine hölzerne Kommode, auf der sich eine Art
Blumenstrauß befand, beim genaueren hinsehen fiel mir auf, dass es eine
Topfpflanze war. Und dann war da noch etwas, was meine volle Aufmerksamkeit
auf sich zog, mich faszinierte: An der Wand lehnte eine Waffe. 2 Sicheln
waren an einem langen Stab befestigt, eine von ihnen schillerte hell und
glänzte im Licht. Ich spürte einen stechenden Schmerz in der Seite.
Ich konnte nicht aufhören, diese Waffe anzustarren, obwohl sie mir weh tat.
Zusammen mit meinen tierischen Kopfschmerzen gab das einen wundervollen
Cocktail und ich hatte das Gefühl, durchzudrehen.
Dann wurde sie plötzlich hoch gehoben.
"Verzeihung...", sprach eine sanfte Stimme, die zu einem Mann gehörte, der
gerade das Zimmer betreten hatte, "Ich wollte dir keine Angst einjagen...
warte, ich räume sie schnell weg..."
Als er kurze Zeit später das Zimmer wieder betrat waren seine Hände leer und
die Waffe wohl irgendwo versteckt. Ich spürte eine Traurigkeit, denn
obgleich sie mir weh getan hatte war es doch sehr schön für mich gewesen,
die Sichel zu betrachten.
"Du musst schlafen.", sagte er, "Du hast eine schlimme Nacht hinter dir,
erinnerst du dich?"
Ich schüttelte den Kopf, obwohl sich einige Fetzen in meinem Kopf befanden,
die jedoch alles andere als schön waren. Da war diese Straße. Der kalte
Asphalt und das Mondlicht. Ein Dreiviertelmond. Ich spürte, wie mir das Blut
in den Kopf schoss.
"Habe ich mich etwa..."
Sofort biss ich mir auf die Zunge, musterte den Mann gründlich. Er war kein
Garou, dessen war ich mir sicher. Und diese Mondsichel, das eine Ende war
Silber gewesen. Silber. Deswegen hatte mir der Anblick so wehgetan. Mit
einem Mal saß ich aufrecht im Bett und steif wie ein Stock. Ich musste hier
raus und zwar sofort, das war mir klar. Dieser Mann würde mich umbringen.
Zorn stieg in mir hoch. Dann spürte ich, wie er mich sanft auf das Kissen
zurück drückte.
"Du musst schlafen... trink das."
Er deutete auf die Tasse. Ich spürte, wie ich meine Lippen aufeinander
presste, doch ich wagte nicht, mich zu rühren. Irgendetwas sagte mir, dass
ich diese Flüssigkeit nicht trinken sollte, obwohl sie harmlos erschien.
Doch dann spürte ich schon, wie sie meine Lippen benetzte. Und ich fiel
wieder in mich hinein.
Der sanfte Nachtwind wehte die weißen Vorhänge ins Zimmer hinein. Der Mann
hatte die Fenster geöffnet und als ich wieder erwachte, war es im gesamten
Haus totenstill. Und doch war an dieser Nacht etwas Besonderes. Da draußen
war etwas.
Meine nackten Füße berührten die kalten Fließen und ich sah mich selbst zum
Fenster wanken. Ich fragte mich, wo meine Kleider waren und ob das weite
T-shirt, das ich trug, wohl von ihm stammte.
Ich fühlte mich ganz anders. Und als ich aus dem Fenster sah, wusste ich
wieso. Es war mein Mond, der dort am Himmel stand und mit seinem Licht die
taufeuchten Dächer zum glitzern bracht. Es war meine Stadt, die dort lag, so
friedlich, so sanft, es war mein zu Hause, meine Vergangenheit und ich
drohte zu fliegen, abzuheben. Der Mond war es, der eine unglaubliche
Anziehungskraft auf mich auswirkte.
Als ich bemerkte, wie sich meine Hand langsam in eine Pranke zu verwandeln
schien wandte ich mich ab, gerade noch rechtzeitig, wie ich bemerkte. Ich
wäre beinahe aus dem Fenster gestürzt, atmete heftig und musste mich erst
mal abstützen. Dann entdeckte ich meine Kleider.
Binnen weniger Minuten war ich angezogen und wieder auf der Straße. Ich
fragte mich, was nun zu tun sei, wo ich hingehen sollte. Zurück in den
Frankenwald?
Doch als ich erneut zum Himmel sah wurde mit einem Mal klar, dass ich den
Caern des Morgenfrostes nie wieder sehen würde. Und auch nicht die dort
beheimateten Garou.
Der Abschied war mir schwer gefallen, doch nun, da ich wieder da war, wo ich
her kam, wo ich hin gehörte, wusste ich, dass ich niemals zu dieser Septe
gepasst hätte. Ich war eine Knochenbeißerin, das wurde mir in dieser Nacht
deutlicher denn je klar und zum ersten Mal bedrückte mich diese Tatsache,
sie machte mich traurig. Tränen schossen mir in die Augen und die
Häuserfront verschwamm vor ihnen, doch auch das richtete nichts gegen die
Tatsache aus, dass man nie etwas an seinem Platz in der Gesellschaft ändern
kann. Meine Bestimmung war es, im Müll zu wühlen, in diesem Augenblick wurde
mir klar, dass Grimfrost mit seinen Worten recht gehabt hatte.
'Aber was weiß ein Knochenbeißer schon von Stärke, Mut und Ehre?'
'Nichts...'
"Wo willst du hin, kleine SilentWishes?"
Verwundert drehte ich mich um. Der Mann war mir gefolgt, er sah verschlafen
aus, die Haare unordentlich, die Augen klein und in seiner rechten Hand
hielt er die Mondsichel. Ich wich zurück.
"Hab keine Angst vor mir. Ich tu dir nichts... ich bin ein Freund"
Er versuchte mich zu beschwichtigen, sah mich bei den letzten Worten
eindringlich an. Doch ich hörte nicht. Dies war meine Zeit, die Zeit des
Dreiviertelmondes. Dies war die Stadt der Knochenbeißerin. Zwar war sie ohne
Stärke, Mut und Ehre aber dennoch mit einem gewaltigen Überlebensdrang. Ich
würde nicht zu lassen, dass er diese Waffe gegen mich verwendet. Die
silberne Sichel glänzte im Mondlicht.
"Du solltest nicht hier draußen sein! Du solltest dich ausruhen! Hast du nur
den blassesten Schimmer, in welchem Zustand ich dich aufgesammelt habe,
gestern Nacht?"
Ich wuchs. Mein Zorn pulsierte. Ich war bereit, diesen Menschen in Stücke zu
reißen. Doch er war kein Mensch.
Wolf-Song schaffte es mich zu beruhigen. Jean, so hieß er unter den
Menschen, kochte Tee in seiner kleinen Küche. Ich selbst beobachtete jeden
Handgriff misstrauisch. Doch die Waffe lehnte im Flur an einer Wand. Er
hatte sie zur Verteidigung mitgenommen als er mir hinterher gelaufen war. Er
hatte die Tür ins Schloss fallen gehört und es zuerst nicht glauben können.
"Gestern warst du mehr tot als lebendig und heute Nacht willst du schon
wieder weg rennen."
Er redete von der Straße, auf der ich zusammen gebrochen war. Und er sagte,
dass er Angst um mich gehabt hatte. Ich horchte auf. Wieso hatte ein Fremder
Angst um mich? Er schüttelte den Kopf, lächelte. Und dann begann er mir
seine Lebensgeschichte zu erzählen. Inmitten einer kleinen Küche in Berlin.
Bei einer Tasse Tee.
Irgendwann saßen wir auf dem Dach des Hauses. Ich hatte eine Decke um mich
gewickelt, obwohl ich nicht fror, es war eine schöne Nacht, eine sanfte
Nacht. Der Mond begann langsam hinter den Häuserdächern zu verschwinden.
Diese Stimmung, die mich in diesem Augenblick umfing war so bekannt. Ein
Gefühl der Weite. Bald würde der Morgen anbrechen, doch es war noch Zeit. In
der Ferne erklang der Lärm des Straßenverkehrs. Die Stadt wachte auf, doch
die Straßenlaternen brannten noch immer. Diese Zeit zwischen Nacht und Tag
war für mich schon immer schwer zu fassen gewesen. Sie war anders. Sie war
geheimnisvoll. Und seltsamerweise dachte ich in diesem Moment an Schnee. An
weiße, glitzernde Flocken die vom Himmel fallen. Ich musste Lachen.
Er sah mich an.
"Wo bist du nur gewesen, kleine SilentWishes?"
Vor dieser Frage hatte ich mich gefürchtet. Denn ich konnte sie nicht
beantworten. Ja, wo bin ich gewesen? Ich war ohnmächtig. Seit dem Tag, an
dem mich der letzte Mensch verlassen hatte, dem ich etwas bedeutete. Ich bin
herum getrieben. War nirgends wirklich ganz. Ich hatte geschlafen. Geträumt.
War gestrauchelt, gefallen und immer wieder aufgestanden. Jedes Mal aufs
Neue. Und ich war aufgewacht. An dem Tag, an dem ich ihm das erste Mal
begegnete. Ihm und seiner Mondsichel. Und als ich ihn ansah wusste ich, dass
ich all dies nicht aussprechen musste, um verstanden zu werden.
Am nächsten Morgen war ich wieder auf dem Damm. Ich lief ein wenig durch die
Straßen und irgendwann stand ich vor einem Haus, das mir bekannt vorkam. Ich
betrat den Flur und stieg die Treppe hinauf. Irgendwann stand ich vor einer
Tür und brauchte eine Weile, um zu realisieren, dass es mein Name war, der
dort stand. Unter dem Namen meiner Mutter. Ich klingelte. Niemand öffnete
mir. Doch meinen Haustürschlüssel hatte ich noch immer.
Mit einem Mal war ich wieder 16 Jahre alt. Ich betrat unsere Wohnung, kam
gerade von der Schule heim. Ich setzte mich an den Tisch. Auf der geblümten
Tischdecke stand eine Vase, in der sich ein paar vertrocknete Blumen
befanden. Muttertag. Oder war es ihr Geburtstag? Ich weiß es nicht. Der
Tisch war der einzige Gegenstand, der nicht verdreckt oder voll gestellt
war. Er hatte nämlich mir gehört.
Als ich in die Schule kam, ich war gerade 6 Jahre alt geworden, hatte sie
ihn frei geräumt. Meine Mutter hatte mir freudenstrahlend erzählt, dass sie
ihn mir schenken würde. Und dass nur ich bestimmen dürfe, wer dort sitzen
darf. Und was auf ihn gestellt wird. Das war das einzige Geschenk, was sie
mir je gemacht hat. Und ich hielt diesen Tisch in Ehren.
Ich räumte mir einen Stuhl frei, die Stühle gehörten schließlich ihr und
waren deshalb, so wie alles andere in dieser Wohnung, als Ablagestätte für
alte Zeitungen und Schnapsflaschen verwendet worden. Als ich mich setzte
machte ich ein zweites Mal jenen bedeutungsschweren Augenblick durch, seit
welchem ich diesen Tisch nicht wieder gesehen hatte. Die Sonne stand genauso
tief wie an jenem Tag. Ich weiß noch, wie ich aus dem Fenster blickte. Über
die Dächer der Häuser blickte. Und wie ich beschloss, mein Leben zu beenden.
Ein Knacken.
"Wer ist da?"
Es durchfährt mich wie ein Blitz.
"Wer sind Sie?"
Sie ist mehr tot als lebendig.
"Machen sie, dass sie rauskommen! Sonst ruf ich die..."
Sie bricht zusammen.
Es war nach Mitternacht, als mich Wolf-Song aus dem Krankenhaus abholte. Und
meine Mutter war über den Berg. Ich bat die Ärzte, sich um einen
Therapieplatz für sie zu kümmern und hinterließ meine Nummer. Oder die
Nummer, unter der ich erreichbar war. Die Nacht verbrachten wir erneut auf
dem Dach.
"Das Alleinsein war eine Sache, mit der ich nie wirklich klar gekommen war.
Die Sticheleien der anderen Kinder ertrug ich, im gewissen Sinne brauchte
ich sie sogar. Sie beruhigten mich. Zeigten mir, dass ich nicht der letzte
Mensch war. Sobald ich jedoch unsere Wohnung betreten hatte, jeden Mittag
nach dem der Unterricht zu Ende war, wusste ich, dass ich alleine war. Die
Stille war es, die mich einengte und mir die Luft zum Atmen nahm."
Ich redete ununterbrochen. Es quoll aus mir heraus. Und mit der Zeit löste
sich der Druck, der meine Kehle zusammengeschnürt hatte.
"Als ich zur Garou wurde habe ich mein altes Leben abgestreift wie einen
Mantel. Heute weiß ich, dass das falsch war, denn alles, was vorher war
gehörte auch irgendwie zu dem, was nachher lebt. Und somit war ich das
letzte Jahr nur halb vorhanden gewesen. Deswegen bin ich hier. Hier in
Berlin. Meiner Heimat."
An seinem Blick konnte ich sehen, dass er mir zuhörte, doch er unterbrach
mich nicht und dafür war ich sehr dankbar. Es gibt Zeiten, in denen man die
Menschen einfach nur reden lassen muss. Es tat mir gut, einen Raum für meine
Gedanken zu besitzen, der sich außerhalb meines Kopfes befand.
"Manchmal habe ich mir gewünscht, dass sie mich einfach nur angeschrieen
hätte. Irgendwie auf meine Anwesenheit reagiert hätte. Doch das tat sie nie.
Sie war immer so ruhig. Lag meistens auf einer Matratze, die ihr Bett sein
sollte und beobachtete die Wand. Sie redete nicht oft mit mir. Und doch weiß
ich aus diesen wenigen Momenten, ich kann sie dir einzeln aufzählen, dass
sie mich geliebt hat und dass sie gerne anders gewesen wäre. Anders für
mich, zu mir. Sie hätte mir gerne solch ein Leben ermöglicht, von dem sie
geträumt hatte. Doch sie konnte nicht. Erst heute wird mir klar, dass sie
verzweifelt gewesen sein musste. Sie hatte mir diesen Küchentisch geschenkt.
Ich weiß, dass es von Herzen kam. Sie war stolz auf ihre kleine Tochter. Das
weiß ich ganz sicher."
Die Nacht fiel und wich dem Tag. Und irgendwann wichen die Schatten dem
Licht.
"Und ich sage euch, wir können ihn nicht dort lassen. Ihr wisst wie er ist,
früher oder später wird er durchdrehen. Und dann werden sie nie wieder
aufhören, Werwölfe zu jagen."
Gelächter. Wolf-Song senkte den Blick.
"Ihr lacht! Habt ihr die Litanei nicht gelesen, ihr Welpen?!"
Der Weiße war ernsthaft sauer. Er schüttelte den Kopf.
"Und was seit ihr bloß für Freunde, wenn ihr einen von euch dort im Stich
lassen wollt?! Erwartet ihr nicht, dass man euch ebenso rettet?"
"Er ist selbst schuld! Er hat sich von den Menschen fangen lassen."
Er seufzt, fährt sich durch das weiße Haar.
"Fehler passieren nun einmal. Und ihr kennt meine Meinung dazu. Ich lasse
einen Freund nicht alleine sterben. Und ich werde nicht zulassen, dass durch
einen dummen Fehler wie diesen die ganze Menschheit auf Werwolfjagd geht!
Ihr wisst ganz genau, dass sie etwas ahnen. Und ihr wisst ebenso wie ich,
dass es Menschen gibt, die unseren Anblick ertragen."
Sincerity unterbrach seine Rede für eine bedeutungsschwere Pause.
"Ich werde heute Abend dort einbrechen, auch alleine, falls ihr auf euren
Standpunkt bestehen solltet, ihr feigen Hunde!"
Wolf-Song war der erste, der vor trat. In meinen Augen war das Wahnsinn,
gleichzeitig jedoch der Beweis, dass ich die einzige Knochenbeißerin bin,
die weder Mut, Ehre, noch Stärke besitzt. Grimfrost war mir allgegenwärtig.
Vollmond.
Wolf-Song bebte innerlich. Er spürte nicht, dass ich ihn beobachtete. Er war
mit sich selbst beschäftigt. Ich weiß, dass er in dieser Nacht mit sich
rang. Dann sah er mich an. Wolf-Song hatte grüne Augen.
"Ich muss das tun..."
Warum rechtfertigt er sich?
"Du... du weißt das... und... ich kann ihn nicht im Stich lassen..."
Er stammelte. Mir fehlten die Worte. Er nahm in Kauf, mich für die Sache,
für seinen Freund alleine zu lassen. Ich spürte Zorn in mir hoch kochen.
"Was, wenn du nicht wieder kommst?"
"Wieso sollte ich nicht wieder kommen?"
Seine Stimme klang aufgebracht, ein wenig nervös. Ich stand noch immer wie
ein trotziges Kind an der Stelle, auf der ich gesessen hatte. Doch ich
wollte ihm nicht zurück in die Wohnung folgen. Es gab etwas, das
unausgesprochen geblieben war und ich war nicht bereit, ihn gehen zu lassen,
ohne das geklärt zu haben.
Ich weiß nicht, ob er in diesem Augenblick verstand, was in mir vorging.
Doch ich glaube, dass er Angst davor hatte. Genauso wie ich Angst vor dem
Schweigen hatte, was in diesem Augenblick zwischen uns gefallen war. Er sah
mich an. Und ich wusste, dass ich diejenige war, die etwas sagen sollte. Er
trat zwei, drei Schritte auf mich zu.
"Was ist denn?"
Er sah mich ängstlich an.
"Nichts."
Ich blickte zu Boden, hörte dennoch, wie er erleichtert aufseufzte.
Sincerity, der weiße, klingelte an der Tür und besprach mit uns einige
Sachen, über die "Aktion", wie er sie nannte. Er war sehr aufgeregt, redete
schnell und wollte gar nicht lange bleiben. Seit Tagen hatte er die
Tochtergesellschaft der Pentex beobachtet, die ihren Freund gefangen
hielten. Er rollte Pläne über dem Tisch aus, die ich nicht verstand.
Wolf-Song nickte konzentriert. Seine Augen glühten. Ich glaube, dass er sich
auf diese Herausforderung freute.
Sincerity musterte mich streng. Er war sich nicht sicher, ob es so klug war
die "Kleine" in die Unternehmung "einzuspannen". Doch "normalerweise" könne
ja jeder Schmiere stehen. Diese Worte trafen mich schwer. Stärke, Mut und
Ehre. Wenig später war er verschwunden.
"So ist das nun mal, Garou kämpfen nun mal. Auch wenn es gefährlich ist, man
muss manchmal gefährliche Sachen wagen um über sich hinaus zu wachsen."
Ich wusste nicht, was ich dem erwidern konnte. Fest stand für mich, dass ich
nicht wollte, dass er das tat. Fest stand, dass ich ihn nicht verlieren
wollte. Denn ich wusste, dass ich dann ebenfalls verloren sein würde. Ich
sprang auf.
Stärke, Mut und Ehre.
Der kühle Nachtwind trieb mir Tränen in die Augen. Ich lief los, rutschte
aus, fing mich, fand mich am Rand des Daches wieder, strauchelte. Und fing
mich. Blickte über die Stadt. Dann spürte ich seinen Atem im Nacken.
"Ich weiß, was in dir vorgeht, SilentWishes."
Ich saß unter einer Straßenlaterne. Die Beine angezogen. Beobachtete die
leere Straße. Es hatte geregnet. Der Nasse Asphalt glitzerte.
Der Plan klang einfach. Sie würden zu dritt hinein gehen. Die Wachen im
Schichtwechsel überwältigen. Das wichtigste war, dass niemand den Alarm
auslöste. Denn der würde Tausende anlocken. Wolf-Song hatte an diesem morgen
die Mondsichel geputzt.
Ich wartete auf ein Zeichen. Das Zeichen, dass die Wachen tot waren. Dann
würde ich in das Gebäude gehen dürfen, dass hatte mir Sincerity versprechen
müssen. Er hatte die Augenbrauen hochgezogen, aber nichts weiter dazu
gesagt.
Jahrtausende, so kamen mir die Minuten vor, vergingen. Dann erklang der
leise Ruf einer Eule.
Meine Schritte hallten in der riesigen Eingangshalle wieder, ich schlich auf
Zehenspitzen, obwohl das eigentlich nicht nötig war. Eine geräumige Treppe
führte vom Empfang aus in das höhere Stockwerk. Doch ich wusste, dass ich
den Aufzug zu nehmen hatte. Er kam sofort als ich ihn rief und erweckte ein
vertrautes Gefühl in mir. Eigentlich war alles so wie immer. Ich würde nun
in den dritten Stock fahren und dort die Haustür aufschließen. Doch ich
drückte auf U4.
Fackeln hingen an den Wänden und erhellten die Gewölbegänge. "Kurioses"
stand über einem von ihnen und ich beschloss, diesen zu verfolgen.
Auf der linken Seite befanden sich enge Gehege mit schweren Gitterstäben.
Viele von ihnen waren leer, meine Schritte und Witterung verrieten mein
Eindringen den wenigen Bewohnern dieses Ganges sofort. Sie zogen
geräuschvoll Luft ein, hielten sich im Dunkeln. Lauerten. Ich versuchte mich
an ihnen vorbei zu schleichen, doch ich wusste, dass es zwecklos war. Sie
wussten längst, dass ich da war.
Fast wie von selbst verwandelte ich mich in Lupus und setzte den Weg auf
vier Pfoten fort. Ich hörte, wie sie hinter mir gegen die Stäbe sprangen,
doch ich drehte mich nicht um, erhöhte mein Tempo. Irgendwann hatte ich die
letzte Fackel erreicht, doch der Gang war noch nicht zu Ende, also beschloss
ich ihm weiter zu folgen. Ich lief durch die Finsternis, deutlich langsamer
als zuvor, Schritt für Schritt. Das Schnaufen, Atmen der Tiere verfolgte
mich weiter und ich zwang mich selbst zu jedem einzelnen Schritt. Irgendwann
hatte ich das Gefühl, umgeben zu sein. Das Licht hatte ich schon längst aus
den Augen verloren. Ich hielt inne, lauschte in die Dunkelheit.
Da war es. Etwas in nicht allzu weiter Entfernung atmete röchelnd. Dieses
Geräusch war anders, als das Schnaufen der Tiere, nein, dieses Röcheln klang
nach Todesangst. Irgendjemand litt in dieser Finsternis noch schrecklicher
als ich, das konnte ich sogar riechen. Ich roch den Schweiß dieses Wesens.
Vorsichtig begann ich weiter zu gehen, ich konnte das Geräusch nicht orten,
wusste nicht, ob der Leidende vor mir im Gang lag oder in einer der Zellen
war. Das Röcheln kam näher. Wurde unregelmäßig. Und plötzlich war alles
still. Ich wagte nicht, mich zu rühren.
Dann brach die Hölle los.
Das Licht ging so plötzlich an, dass ich mehrere Schritte zurück weichen
musste, weil es mich blendete und ich für Sekunden gar nichts sehen konnte.
Dann fand ich mein Augenlicht wieder.
Der Gang war zu Ende und mündete in eine Art Arena, ich stand vor einem
Gitter, welches mich daran hinderte, den sandigen Untergrund zu betreten auf
welchem sich die drei Garou gegenüberstanden. Ich konnte nichts tun, als
zusehen und ich wagte nicht, irgendetwas zu sagen. Es war Gespenstisch.
Einer von ihnen hielt eine Fackel hoch und versuchte mit ihr einen großen
Schwarzen an die Außenwand zu treiben. Ein weiterer, Wolf-Song, das erkannte
ich sofort, fuchtelte mit seiner Mondsichel herum. Das silberne Ende blitzte
im Licht der Fackel. Ich fragte mich, ob er sie gegen seinen Freund
verwenden würde.
Der Schwarze schnaubte laut auf und blickte bösartig in die Runde, er
schüttelte sich und ging dann brüllend zum Angriff über, stürzte sich auf
Wolf-Song, der tatsächlich versuchte, ihn mit der silbernen Seite zu
erwischen. Doch der andere wich aus, jedes Mal aufs Neue und nutze die
Momente, in denen Jean mit der Waffe ausholte, um ihn mit seinen Klauen zu
verletzen. Er schien nicht Müde zu werden. Doch dann begann auch Sincerity,
zu kämpfen und obgleich der schwarze sehr muskulös und gewaltig groß war,
gelang es den beiden, ihn in die Enge zu treiben. Dann erwischte Wolf-Song
ihn mit seiner Sichel. Der Schwarze bracht stöhnend zusammen.
Ich bemerkte, wie die Anspannung aus seinem Gesicht wich. Und auch ich
konnte das Gitter, an das ich mich festgekrallt hatte, nun ebenfalls los
lassen. Dann erblickten mich die beiden, Wolf-Song lächelte.
Wir fuhren im Fahrstuhl nach oben. Jean hielt meine Hand. Er war
erleichtert, stolz. Sie hatten es geschafft. Sincerity beschäftigte sich mit
dem Schwarzen, Ron. Er, nun in seiner Menschlingsgestalt, hielt sich den
Kopf. Ich hörte den Weißen auf ihn einreden. Wahrscheinlich versuchte er Ron
zu beruhigen, doch dieser schien zu erschöpft, um zuzuhören. Und dann brach
er aus.
Ron rammte seinen Ellenbogen, dessen Arm Sinceriry hielt, dem Weißen in den
Bauch, worauf dieser zusammen brach. Der Schwarze drückte auf Stopp und
grinste uns an.
"Wir werden nirgendwo hin gehen. Ich werde euch mitnehmen."
Mit diesen Worten drückte er erneut auf U4 und wechselte in Glabro, stürzte
sich ohne zu zögern auf Wolf-Song. Ich wurde zu Boden gestoßen.
Jean war auf diesen Angriff nicht vorbereitet, doch er versuchte sich zu
sammeln, griff nach der Mondsichel. Der Schwarze kam ihm zuvor.
"Na was haben wir denn da? Ein nettes, kleines Spielzeug."
Er versetze Wolf-Song einen Schlag, der ihn von den Füßen riss.
"Was bist du eigentlich für ein Freund? Und wo ist deine Ehre geblieben? Mit
Silber verletzte man doch keine anderen Garou... schon vergessen?"
Seine Stimme klang zuckersüß.
"Ich werde dich lehren... und du wirst nie wieder deine dumme Sichel gegen
irgendwas richten... aber vielleicht bleibt dir dieser wundervolle Abend
noch viel eindrucksvoller in Erinnerung, wenn ich mich stattdessen um deine
kleine Freundin da kümmere..."
Er lachte. Ich spürte wie sich Wolf-Songs gewaltiger Crinos Körper zwischen
mich und den schwarzen warf. Er wollte mich beschützen, doch ich spürte, wie
sich tief in mir etwas dagegen wehrte. Mit einem Mal war ich von einer ganz
ungewohnten Energie gefüllt. Ich nahm meine Kriegsgestalt ein, zum ersten
Mal seit längerem, und in diesem Moment spürte ich den Zorn pulsieren. In
diesem Moment konnte ich direkt vor meinen Augen sehen, zu was ich fähig
war, zu was SilentWishes, die Garou fähig war. Ron holte aus und wollte die
Sichel auf mich niederschmettern lassen, doch ich kam ihm entgegen, packte
seinen Arm und hielt diesen fest. Und dann fiel ein Schleier vor meine
Augen. Ich weiß nicht so genau, was geschah, doch ich hielt diesen Arm fest,
ich wusste, dass ich ihn fest halten musste, egal was kommen würde. Dann
wurde ich weg geschleudert, mit dem Kopf gegen die Wand des Aufzuges.
Die weißen Vorhänge. Und als sich die Tür öffnete, hoffte ich für einen
kurzen Moment, dass er es sein würde, der dieses Zimmer betrat. Es zerriss
mich. Denn ich wusste, dass es Sincerity war, der die Klinke hinunter
gedrückt hatte.
Ich starrte an die Wand. Ich konnte nichts anderes tun, als an die Wand
starren. Auf dem weißen Anstrich projizierten sich Szenen, als kämen sie aus
meinen Augen, gleich eines Diaprojektors. In Gedanken durchlebte ich die
Nacht noch einmal. Sah noch einmal seine grünen Augen. Und dann den
Fahrstuhl. Als ich erwachte, war es vorbei. Sincerity hatte Ron nieder
geschlagen. Ein Meer von Blut. Und ich wusste, dass es nicht alleine das des
Schwarzen war. Ich konnte nicht hinsehen. Doch ich musste es tun. Das letzte
was ich sah, bevor es wieder schwarz um mich wurde, waren grüne Augen.
Nach Tagen stand ich auf. Am Fußende des Bettes lag ein längliches Päckchen,
ansonsten hatte mich Sincerity in Ruhe gelassen. Ich wusste, dass er da war.
Er brachte mir essen. Ich zog mich an und verließ das Haus. Niemand hinderte
mich daran.
Erneut stand ich irgendwann vor dem Haus, was ich mit meinen Freunden
bewohnt hatte. Doch ich betrat es nicht. Es wäre ein Verrat gewesen.
Wolf-Song hatte versucht, mich in eine Richtung zu lenken. Es würde nichts
bringen, vor all dem weg zu laufen. Meinen Weg hatte ich bereits gewählt.
In dem Päckchen befand sich die Mondsichel und ein weißer Umschlag. Gegen
Abend kletterte ich alleine auf das Dach und beobachtete den
Sonnenuntergang. Die silberne Sichel glänzte im letzten Licht und mit einem
Mal bemerkte ich, dass auf dem langen, massiven Stab etwas eingraviert war.
Es war der Name Wolf-Song.
Als es morgen wurde öffnete ich den Umschlag und als ich Jeans Brief gelesen
hatte, wusste ich, was ich tun musste. Ich verließ Berlin mit nichts als der
Mondsichel, dem Brief und einem Buch. Meinem neuen Tagebuch. Von einem
kleinen Vorort aus rief ich Sincerity an. Er versprach, sich um meine Mutter
und die Wohnung, die Wolf-Song mir hinterlassen hatte zu kümmern.
Von da an verbrachte ich meine Tage laufend. In meiner Wolfsgestalt war der
Weg ein kurzer.
…
Als sie drei Tage später wieder vor Wolf-Songs Tür stand wunderte ich mich
zutiefst, doch ich stellte keine Fragen. Sie hätte mir ohnehin keine Antwort
gegeben. Sie war ruhig geworden und es schien, als hätte sich etwas
grundlegend verändert. Mehrere Tage schloss sie sich in einem Zimmer ein und
ich hörte nur nachts, wie sie jenes verließ um etwas zu essen.
Nach einer Weile schien sie sich wieder gefasst zu haben und so ließ ich sie
vorerst alleine. Meine Septe hatte eine Reihe von Erledigungen zu tun, in
welche ich eingespannt war und so sah ich sie in den nächsten Monaten nur
selten. Wann immer ich ihr jedoch wieder begegnete hatte sie sich ein wenig
verändert, war etwas reifer geworden, vielleicht erwachsener. Sie hatte
gelernt mit Wolf-Songs Waffe umzugehen, doch sie mied den Kampf wie die
Katzen das Wasser. Nur ein einziges Mal sah ich sie kämpfen, kaum war der
Angriff vorüber schloss sie sich erneut ein. Ich glaube, dass sie sich
übergab und mehrere Tage brauchte, um wieder zu Kräften zu kommen.
Silent Wishes engagierte sich bei den Engeln Edens der Kinder Gaias.
Besonders stolz war sie auf ein Kinderbuch, das sie selbst geschrieben und
gezeichnet hatte, mir bei einem meiner Besuche stolz präsentierte. Ich
glaube, dass es ihr wichtiger war, ihren Kampf auf einer anderen Ebene
durchzuführen.
Irgendwann musste ich geschäftlich nach New York verreisen und da sie
scheinbar begann, sich in Berlin ein wenig zu langweilen, schlug ich ihr
vor, einmal die andere Seite des Ufers zu erkunden.