Verderbtes Geflüster

 

2.) Bilder der Vergangenheit

Nach kurzer Besprechung und dem Entschluss, erst einmal abzuwarten, ob sich der verschwundene Theurg nicht doch wieder findet, setzt der junge Prinz seinen "Streifzug" durch die Wasserburg fort... und stößt dort auf erste lose Fäden eines weitreichenden Gespinstes, dessen wahre Ausmaße noch im Unklaren liegen.
 

Jadon wird dann erstmal eine Weile durch dieses burgige Anwesen gehen.... um sich ein Bild davon zu machen... Er sieht sich genau um und prägt sich alles ein, tastet auch mal hier und da... vielleicht gibt es hier so etwas wie... Geheimgänge oder so etwas. Sicher wird es hier so etwas geben... aber selbst wenn sie von einem Verräter innerhalb der Mauern verschleppt worden wären, was ist dann mit denen im Wald passiert. Er kommt sich ein wenig vor wie Indiana Jones auf der Suche nach geheimen Falltüren... aber irgendwo muss man schließlich anfangen
Da kann er sich so einiges ansehen... auch wenn es hauptsächlich Türen sind, die... was auch immer verbergen. Für manche Dinge hat er allerdings einfach ein Gespür, so weiß er jenes Tor eindeutig zuzuordnen, hinter dem mit Sicherheit der Thronsaal zu finden ist... während die etwas aufwendigere und prunkvolle Gestaltung eines anderen Ganges darauf hindeutet, dass die von dort fortführenden Türen bestimmt die Zimmer des Fürsten und seines Gefolges bergen. Nicht unweit davon dürften normale Unterkünfte liegen, und auch wenn er bislang keinen Geheimgang gefunden hat und sich wenig anbot, berührt zu werden... so fällt ihm doch in dem Gang bei den vermuteten Rudelunterkünften eine Tür ins Auge, die sich von den anderen abhebt, obwohl sie etwas von den anderen separiert wirkt. Sie ist weder größer noch kleiner, schöner oder hässlicher - doch weist ihr massives Holz eine Auffälligkeit auf, die keine andere besitzt. Und zwar ein Relief im Holz, das offenbar jemand mit viel Mühen und Kleinarbeit dort hinein geritzt und gearbeitet hat... ein Relief, das sich bei genauerer Betrachtung als Teil eines Waldes entpuppt, der sich zu einem weiten Grasland hin öffnet... und über das ein kleines Rudel Wölfe oder Lupi spielerisch zu tollen scheint. Je mehr man es sich ansieht, umso mehr kleine Details lassen sich daran erkennen, angefangen von einzelnen Blumen im Gras bis hin zu den unverkennbar glücklichen und ausgelassenen Mienen der dargestellten Wölfe
Jadon geht wohl durch die Gänge, und jedes mal, wenn es etwas schummriger oder dunkler wird, huschen die geisterhaft goldenen Augen umher und beginnen in einem intensiven Goldgelb zu glimmen, so dass ein wenig Helligkeit entsteht. Bei der Tür des Thronsaals bleibt er kurz stehen, um die Augen zu schließen und dieses seltsame Gefühl auf sich wirken zu lassen... merkwürdig, wie man so etwas... spüren, fühlen kann, aber er kann es, und zwar ziemlich deutlich. Nachdem er dort sicher einige Minuten verharrt ist, gelangt er wohl zu den Rudelgemächern und blickt sich auch hier aufmerksam um. Erst geht er an dieser separierten Tür vorbei, dann bleibt er einige Meter voran gegangen stehen und runzelt die Stirn, ohne sich umzudrehen. Er legt leicht den Kopf schräg, als würde er etwas hören... dann wendet er sich um und bleibt erneut stehen, um zu dieser Tür zu blicken. Sein Blick wandert ausgiebig über diese seltsame Tür, die anders ist und doch nicht, und dann erkennt er dieses Relief. Erst einige Minuten später geht er darauf zu, so dass das einzige Geräusch die dumpfen Absätze sind, die gegen den Steinboden schlagen. Er bleibt vor ihr stehen und hebt dann die Hand, um mit leicht funkelndem Blick und den Fingerspitzen über diese... Einkerbungen zu fahren, sie sich genau zu betrachten. Als er damit fertig ist und irgendwie... eine dumpfe Vermutung hat, wendet er die Hand und klopft dreimal gegen das Holz
Als er das Relief berührt, kann er zunächst fühlen, wie glatt und beinahe weich das Holz hier durch die Bearbeitung gemacht wurde...
... und dann scheint die Wirklichkeit zu wechseln. Er fühlt plötzlich eine ungeahnte Trauer, die in ihm schlummert, keine die durch den Verlust Nahestehender entstanden ist... nein, sondern ein, die schier die ganze Welt zu umfassen scheint. Die Leiden der Mutter, die Leiden der Garou, so vieler anderer Garou... das eigene Leid. Es ist eine Trauer, die wie eine immerfort tränende Beklemmung in seinem Inneren ruht, doch im Moment... schläft sie, und nachdem er eine Ahnung von ihr erhalten hat, als hätte er ein Blick auf ein zu Tränen rührendes Bild geworfen, da tritt sie in den Hintergrund, scheint beinah gänzlich zu verschwinden... nichtig zu werden, als wäre sie niemals gewesen. Statt dessen fühlt er nun eine überschwengliche Freude, eine geradezu überschäumende Euphorie und Stolz, und er hat das Gefühl, als könnte er Bäume ausreißen, alles er- und bewirken, alles bewegen; als könnte ihm nichts und niemand etwas anhaben. Und er freut sich so unbeschreiblich darüber, dass er nun nach dem beinah tödlich verlaufenen Ersten Ritus nun nicht nur einen Garounamen, einen richtigen Garounamen erhalten hat... nein, überdies hat er hiermit nun auch sein eigenes Zimmer erhalten. Sicher, es ist ein klein wenig abseits der anderen, aber trotzdem mehr als er andernorts jemals hatte und sich hier zu erhoffen gewagt hätte. Er streicht mit seiner großen, geschickten Pranke - seiner *normalen* Pranke über das glatte Holz, das bald nicht mehr glatt sein würde. Er würde es schmücken und zieren, ein Bild der Freude darin verewigen, ein Bild von Frieden und Glück, ein fühlbares Bild...
Damit reißt die Flut aus Empfindungen wieder ab, und es ist nur noch Jadons eigene Hand, die dort an der Tür ruht. Auf ein Klopfen hin... erhält er allerdings keine Antwort

Jadon reißt etwas die Augen auf, als ihn wieder diese... Wachträume überkommen, diese Teilvisionen, die er oft hat... und nicht nur im Schlaf. Die pupillenlosen Augen werden starr, völlig abwesend und verlieren an Farbe, so dass es so aussieht, als wären sie beinahe gänzlich weiß und als würde ein... Schleier über ihnen liegen. Und als ihn dann diese unbeschreibliche Trauer erfüllt, da beginnt sich seine breite Brust rasch zu heben und zu senken, die starren Augen scheinen feucht zu werden, einen nassen Glanz zu bekommen. Er schluckt ein paar Male, doch als ihn dann diese unfassbare Freude überkommt, fühlt er sich beinahe überrumpelt... Jedoch lächelt er, wie er es seit einer halben Ewigkeit nicht mehr getan hat, und diesmal ist das feuchte Schimmern in den verhangenen Augen von Glück und Freude geprägt... und dem Tatendrang, dort, in diesen Holz, etwas zu verewigen, zum... Ausdruck zu bringen. Eine Weile lang erfreut er sich dieses Gefühls, eines, das nicht seines ist... dann jedoch reißen die visionären Vergangenheitsbilder ab, und der fast weiße Blick kehrt wieder in die Wirklichkeit zurück. Er schließt kurz die Augen und atmet ein paar Male durch den leicht geöffneten Mund... es ist nicht einfach, mit so etwas umzugehen. Ihm ist das schon ein paar Male passiert, dass er irgendwas berührt hat und... irgendwelche vergangenen Bilder erlebt hat. Es scheint beinahe, als würden diese visionären Erlebnisse immer intensiver werden, anstatt abzuflauen... Er blickt dann zu der Tür, die neben an ist, um dort zu klopfen... und wenn keine Antwort kommt, versucht er es an der nächsten, bis jemand aufmacht
Ein paar Türen weiter hat er dann auch Glück - bzw. ist längst jemand bei dem Geklopfe im Gang hellhörig geworden, und so geht eine der Türen auf... und ein Crinoskopf schiebt sich daraus hervor. Auch, wenn er den Betreffenden bislang noch nicht in Crinos gesehen hat - so erkennt er ihn doch an den Augen wieder. Es sind seltsame Augen, in ihrem Ausdruck irgendwo zwischen Sanftheit und Unbeugsamkeit sowie Strenge angesiedelt, von einer blassgrünen Färbung, in die sich ein paar kräftigere, dunkelgrüne Sprenkel rund um die Pupille verirrt haben. Es ist Valentin, derjenige, dem er den zerschmetterten Arm heilen konnte, der aber noch reichlich schlecht zu Fuß ist...
"Sucht Ihr jemanden, Prinz Jadon?"

Jadon sieht auf, als er ihn erblickt. Er mustert ihn eine Weile und erkennt ihn dann. "Naja... nicht wirklich. Ich wollte lediglich wissen... wem dieses Zimmer hier gehört. Könntet Ihr mir das sagen?" Dass er vermutet, dass dort ein Metis lebt oder leben könnte, behält er erst einmal für sich
Jadon: *deutet auf jenes mit dem ausgestreckten Zeigefinger und lässt die Hand dann wieder sinken*
Er duckt sich daraufhin etwas, um aus der Tür heraus und ein Stück auf Jadon zuzukommen... und lässt sich auf alle Viere nieder. Er besitzt eine kaum erkennbare, leicht golden wirkende Zeichnung im Gesicht als auch im Nacken und am Rücken, während die Klauen von einem sehr hellen, bräunlichen Farbton sind. Irgendwo halb verborgen scheint eine unergründliche Melancholie in seiner Aura und in den hintersten Winkeln seiner Augen zu liegen, und als Jadon nach der Tür fragt, lässt er leicht die Ohren hängen und sieht beiseite als auch zu Boden. "Dieses Zimmer... gehört niemandem mehr...", meint er schließlich nach längerem Schweigen
Jadon legt leicht den Kopf schräg und verengt kaum merklich die Augen... als könne er ihn so besser erkennen. "Nicht? Was ist geschehen....und wem gehörte dieses Zimmer? Gehörte der Besitzer etwa auch zu den Verschwundenen?"
Er antwortet eine Weile lang nicht und legt etwas die Ohren an.... er steht nicht sehr weit über Jadon, so fällt es ihm wohl auch nicht einfach, vollständig zu verbergen, dass er mit sich ringen muss, mit dieser Melancholie, die sich nun klar nach vorne drängt, in regelrechte Trauer umschlägt und ihm offenbar ziemlich zusetzt. Irgendwann schüttelt er unmerklich den Kopf und schließt halb die Augen, bevor er den Blick wieder hebt und Jadon ansieht. Seine Stimme klingt etwas bedrückt, als hätte er einen Kloß im Hals. "Es gehörte Elias Letztgesang... einem... Cliath. Nein, er ist nicht verschwunden.... aber er musste uns verlassen und kehrte zu Gaia zurück...."
Jadon spürt die Emotionen anderer ohnehin viel intensiver, was ihm oft sehr unangenehm ist, denn manchmal will er einfach nichts spüren. Momentan jedoch fühlt er einfach nur mit ihm, und wie bei Leonhard zuvor hebt er die Hand und streicht ihm über den Kopf und ein Teil der Ohren. Auch wenn es für manchen eine intime Geste sein mag, er will wohl nur etwas Trost spenden und sein Mitfühlen ausdrücken, denn das tut er. "Das... tut mir sehr leid. Verzeiht, ich hätte wohl nicht fragen sollen... ich wollte keine alten Wunden aufbrechen." Er lässt die Hand wieder sinken und mustert ihn etwas. "Geht es Euch ein wenig besser?", fragt er ihn aus Interesse und aus Ablenkung seinerseits heraus
Er weicht auch bei dieser Geste mit einem leichten Zucken etwas zurück, lässt es dann aber zu... als Menschling hat er wohl auch tatsächlich einen anderen Bezug zu solchen Gesten als ein anderer Lupus wie Leonhard. Er hebt leicht eine Pranke. "Es ist schon... in Ordnung... ich komme wohl einfach nicht damit zurecht, dass er nicht mehr hier ist. Noch immer nicht", murmelt er, bevor er noch ein "Aber wenn Euch das Zimmer interessiert... es ist offen.", hinzufügt. Es folgt ein tiefes Durchatmen, während er einen kurzen Blick an sich entlang wirft... "Besser... ja, sicher. Das kommt wieder in Ordnung..."
Jadon wollte ihm auch nicht zu nahe treten... und er wusste auch nicht, dass er ein Menschling ist. Er nickt leicht und meint "Da bin ich mir sicher..." Er sieht ihn noch kurz an, dann auf das Zimmer. "Verzeiht die Frage... aber von welcher Brut stammte er?", fragt er schließlich doch noch und blickt auf das Relief
"Er war ein Metis", kommt rundheraus die Antwort, als würde es für ihn persönlich keine rechte Bedeutung spielen, ob ein Garou nun Metis, Lupus oder Menschling ist oder war
Jadon: Mmmh... das dachte ich mir. *leicht nickend*
Er schnippt leicht mit einem Ohr, stellt es dann zur Seite. "Und... weswegen ....?"
Jadon: *öffnet dann die Tür und geht herein, wenn auch langsam, als würde er etwas heiliges betreten... er weiß, wie bedeutungsschwer solche Orte sind und saugt die vergangene Atmosphäre gerade zu in sich auf, dann bleibt er nochmals stehen, ohne sich herumzudrehen* Nun... wie soll man sagen. Die Geister gaben mir... ein paar Eindrücke von dem, was er war. Ich sah, wie er... endlos trauerte, sich so sehr über das Bestehen seines Ersten Ritus freute, wie es eben nur einer tun kann, der... es viel schwieriger hat als alle anderen. Solche Freude... über Anerkennung, Akzeptanz, einen Namen... das ließ mich darauf schließen. *murmelnd und sich umblickend*
Jadon: Und eben... das dieses Zimmer etwas separiert ist von all den anderen. *hinzufügend, während sich seine Nasenflügel blähen*
Er hat offenbar nicht vor, ihm zu folgen... sodass Jadon nur noch ein "Verstehe..." hören kann sowie ein Wetzen der Klauen über den Boden. Ein wenig später folgt ein dumpfes "Er war auch sehr... emotional. Zu Tode betrübt oder ein Quell purer Freude, manchmal anstrengend aber meist eine lebendige Bereicherung..."
Das Zimmer erweist sich als ziemlich schlicht - ein großes Bett, ein Tisch, ein Stuhl, Regale an den Wänden, gefüllt mit... "Krimskrams"... etlichen sehr kunstvoll geschnitzten Figuren, unterschiedlichen Holzflöten und einer Art... aufrollbarer Lederbahn, in der in unzähligen Halterungen die verschiedensten Werkzeuge zu finden sind, um Holz schnitzend oder kratzend bearbeiten zu können - allerdings allesamt bei weitem zu groß für eine Menschenhand. Die Luft hier drin ist trocken und etwas abgestanden, vermutlich war schon sehr lange niemand mehr hier drin. Dennoch sieht das Bett nie genutzt aus, statt dessen lässt sich davor ein Berg von mehreren dicken Decken von schlichter brauner Farbe ausmachen, die sehr gemütlich und weich aussehen... und gut benutzt. Es sind sogar noch schneeweiße Haare daran, wenn man genau hinsieht

Jadon geht schließlich ganz hinein und schließt die Tür hinter sich. Sein Blick schweift erst eine ganze Weile lang über all die Dinge hier... die Sachen im Regal, die Figuren, die Flöten. Ihm scheint, als wäre er ein Mondtänzer gewesen... zumindest liegt die Vermutung nahe. Er lächelt leicht, als er auf das Schlaflager blickt und geht dann auf jenes zu, um sich auf ein Knie niederzulassen und mit der Hand über das Fell zu streichen, ehe er ein paar weiße Haarbüschel nimmt, sie aufhebt und mit geschlossenen Augen daran riecht, einen tiefen Atemzug nimmt. Er findet, dass es ein unbeschreiblich melancholisches, seltsames Gefühl ist die Anwesenheit von Personen zu spüren, die längst nicht mehr da sind. Da er diesen Garou nicht kannte, schmerzt es ihn nicht allzu sehr, auch wenn es ihn irgendwie... mit einer gewissen Trauer erfüllt. Er steht dann wieder auf und öffnet das Fenster um sich das Bild anzusehen, das er immer gehabt haben muss, wenn er aus dem Fenster blickte. Eine Weile lang bleibt er so stehen, regungslos, um hinaus zu blicken... während die einzigen Bewegungen an ihm die Haare sind, die etwas vom Wind umspielt werden. Etwas später geht er zu dem Regal, um sich mit einem leichten Lächeln eine der Figuren zu nehmen und mit der Fingerspitzen darüber zu fahren, während die Augen dabei in unmerklich kleinen, raschen Bewegungen hin und her huschen
Auch die wenigen Möbel hier drin sind unverkennbar von dem Metis bearbeitet worden.... so finden sich auch am Bett, am Stuhl und den Regalen hier und dort Verzierungen, auch den Tisch hatte er in Angriff genommen - war aber offenbar niemals dazu gekommen, ihn fertig zu bekommen, wie eineinhalb verzierte Tischbeine vermuten lassen. Und es scheint tatsächlich noch ziemlich viel von seiner Anwesenheit zu spüren zu sein, beinahe als würde er immer noch hier leben. Die Decken riechen alt und trocken, etwas würzig von dem gealterten Garougeruch, der sich bis heute erhalten hat... und der in weitaus schwächerer Form auch dem Haarbüschel anhaftet. Und da der Metis hier noch so deutlich zu spüren ist, erhascht Jadon auch mit jeder Berührung neue Eindrücke... wenn auch nicht so stark wie zuvor. So vermitteln ihm die einst als Schlaflager genutzten Decken ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit, eine weiche Zuflucht, vielleicht ähnlich dem Schoß einer Mutter, in dem man sich zusammenrollt. Dieser Schlafplatz hatte deswegen eine ziemliche Bedeutung für ihn... und oft hat er sich hier eingekugelt und die Welt vergessen, vergessen, was in ihm lag oder draußen vor der Tür. Als Jadon anschließend das Fenster öffnet, es berührt, hat er abermals flüchtige Bilder im Kopf... sieht abermals "seine" Pranke erst den einen Teil, dann den anderen des Fensters öffnen, um die frische Luft herein zu lassen und einen tiefen Atemzug zu nehmen. Es ist Frühlingsluft, die er in die Nase bekommt... der Geruch nach sonnenwarmen, jungen Gras, ersten Blumen. Der kristallklare Geruch des Wassers, das den Fürstensitz umgibt, zusammen mit dem schwereren Geruch des anliegenden Waldes, der herüber weht... und der Geruch des Weidenholzes, seiner Weide, unter der er so gerne hockt, der Geruch von -
die fremden Eindrücke reißen wieder ab. Vor Jadons realem Auge ist keine Sonne zu erkennen, kein Frühling. Denn draußen ist es mittlerweile tiefe Nacht geworden, sodass die Sterne am schwarzen Firmament funkeln, Luna umgeben als wären sie ihr Gefolge. Die 'wahren' Gerüche sind kalt und prägnant, bei weitem schlichter als das Frühlingsgewebe. Schnee, frostiges Wasser, Wald und erkalteter Stein.
Er hat den Blick auf ein Schneefeld, das sonst sicher eine prächtige Wiese sein muss... und kann die Umrisse eines großen Baumes am Wasser erkennen, während sich im Hintergrund am anderen Ufer dicht und dunkel der Wald abzeichnet.
Und dann das Regal... voller Leben. Sind es nicht ferne Flötenklänge, die aus dem Staub heraus flüstern? Und dann die Holzfiguren. Jede einzelne wirkt unglaublich lebendig, geradezu, als hätte man die entsprechenden Darsteller geschrumpft und in Holz verwandelt... sodass sie auch sehr viele verblüffende Details enthalten. Viele dieser Figuren scheinen so manchen der Garou hier in den unterschiedlichsten Situationen darzustellen, doch auch viele Wald- und Fabeltiere sind darunter. Jadon hat wohl die Wolfsfigur eines Garou erwischt, den er nicht kennt... es ist ein stattlicher, stolzer Bursche, wenn auch mehr auf Schnelligkeit ausgelegt denn auf Kraft durch Masse, und er befindet sich gerade in vollem Lauf, dabei einen wolfslachenden und neckischen Blick über die Schulter zurück werfend. Die Figur erweckt den Eindruck, als müsse es sich dabei um einen ranghöheren Garou handeln...
... und unversehens wird Jadon innerlich auf eine blühende Wiese geworfen.
"Landuin... Landuin!! So warte doch, ich kann nicht so schnell...", ruft er dem voraus eilenden Lupus hinterher, der schließlich kehrt macht und einen Kreis um ihn herum tänzelt, die Sonne in seinem schimmernden Fell und den strahlenden, freundlichen Augen. Seine Stimme ist tief, doch rein und klar wie ein Gletscherfluss. "Natürlich kannst du, stell dich nicht so an! Du wirst dich doch nicht von einem alten zahnlosen Halblahmen narren lassen, Welpe?"
Er schnauft empört... von wegen 'alt und zahnlos, halblahm...' "Ha!" Aber er bemüht sich, auch wenn er auf allen Vieren einfach nur sehr mühselig voran kommt, doch er tut es, konzentriert sich auf jeden seiner Schritte... und siehe da, es geht, es funktioniert tatsächlich...
Wieder unbändige Freude, sich doch auf allen Vieren fortbewegen zu können, etwas, was er immer vermieden hat, bevor er hierher kam... um sich nicht die komplette Blöße geben zu müssen. Doch hier... hier bei Landuin, hier an diesem Fürstensitz kann er seine Scheu nach und nach ablegen, entdeckt, dass er zu weit mehr fähig ist, als er selbst jemals gedacht hat. Er hat sich einfach niemals getraut, irgend etwas auszuprobieren, immer nur verstecken, kriechen, winseln, getreten werden.
Aber... Vergangenheit. Er ist nun hier, und hier ist ein neues Leben, und er spürt es geradezu durch seine Adern pulsieren, die warme Erde unter seinen Pfoten, den Geruch von Blumen und Gras in der Nase... und den tänzelnden 'Halblahmen' bei sich, Landuin, der gute alte Landuin Morgenhell, der zufrieden grinst als er sieht, wie er nun besser zurecht kommt - und vorspringt, um ihn spielerisch zu zwicken und dann davon zu preschen, dabei einen neckischen Blick über die Schulter zurück werfend.
"Und nun... zur Weide, flink!"
Er spürt noch den Eifer, nicht allzu weit zurück zu bleiben zu müssen... spürt die unregelmäßige Bewegung, das Holpern in seiner Schulter...
... und fühlt schließlich wieder nur das Holz der Figur in seiner Hand, als der Eindruck verschwindet

Jadon fährt sich kurz mit der freien Hand über das Gesicht, als all die Eindrücke abreißen... Die große Hand verharrt über den Augen, drückt ein wenig in jene hinein, um dieses brennende Gefühl darin zurück zu halten. Doch dieses Mal... dieses Mal gelingt es ihm nicht, und das warme Wasser findet seinen Weg über die hohen Wangenknochen, die Lippen, die Nase... perlt vom Kinn und benetzt sein helles Hemd, den Boden. Er weiß nicht, was es ist, was ihn gerade ergreift... es ist diese unbeschreibliche Trauer, die er einem völlig fremdem Garou gegenüber empfindet, den er nie gesehen, nie gekannt hat... und doch hat er das Gefühl, als wüsste er über ihn mehr als so manch anderer, der ihn kannte. Tränen der Trauer und jene, die sich aufgestaut von der Vergangenheit nun ihren Weg suchen finden keinen Halt mehr, scheinen nicht mehr zu versiegen, während nur hin und wieder ein leiser, schluchzender Laut zu hören ist. Er tut ihm so unbeschreiblich leid, dieser Metis... wie muss das nur gewesen sein, ausgestoßen und getreten, geprügelt... als Halbwolf mit der Sehnsucht nach einem Rudel. Jadon könnte sich nichts schrecklicheres vorstellen als... verstoßen oder missachtet zu werden, aber nicht um seines Titels willen, sondern... von der Wolfsseite aus. Irgendwann nimmt er die Hand von den Augen fort, hält sich die Nase zu, so dass die Handfläche auf den Lippen liegt und der Blick auf dieser Figur, die ihn mehr anrührt als alles, was er jemals in den Händen hielt. Er streicht mit den benässten Fingern noch mal über die Statue und stellt sie dann zurück, um sich gegen eine Wand zu lehnen und die flachen Hände unter die Achseln zu schieben, den Kopf zu senken und dann einige Zeit so zu verharren... bis der Strom aus seinen Augen endlich versiegen will


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